Gerade sind wir in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, und warten auf das Fortsetzen der Reise. Das neue Ziel heißt: durch Aserbaidschan in den Iran! Dort soll der halbe Winter verbracht werden.

Dafür sind noch einige Papiere und Ersatzteile zu organisieren. Nach der Abholung des neuen Ersatzrades in Pjatigorsk, welches der IFA-Reisemobil-Kollege Serg uns netterweise besorgt hatte, legten wir Tiflis als neues Etappenziel fest. Hier soll alles Nötige für die Weiterfahrt eingesammelt werden. Um die georgische Hauptstadt zu erreichen, mussten wir das winterliche Kaukasus-Gebirge überqueren — diesmal von Norden nach Süden.

Lew sitzt im kalten Kalmückien im warmen Wagen beim Frühstück und plant die weitere Route.

Vor  haben wir im russischen Kurort Kislowodsk etwas Zeit verbracht. Die russische Bezeichnung für Kurort ist übrigens курорт [kʊˈrort]…

Im Winter geht es in Kurorten nicht ganz so wild zu wie im Sommer.

Nachdem uns schon der russische IFA-Enthusiast Serg mit der Reifenbesorgung geholfen hatte, ergab sich bei Kislowodsk eine neue Begegnung unter IFA-Freunden. Viktor, der Imker und L60-Fahrer, sprach uns an.

Von Viktors Familie bekamen wir viel russisches Essen: Wobla, eingelegte Pilze, Gurken und noch mehr.

So lernten wir diese netten Leuten kennen und bekamen einige Hilfe. Unsere Alu-Leiter wurde im Ort geschweißt und ich konnte getrocknete Wobla probieren.

Normalerweise halte ich mich hier im Blog mit der Erwähnung von technischen Konstruktionen oder den Details von Reparaturen zurück, um nicht einen Teil der Leserschaft zu langweilen. Doch eine Beobachtung möchte ich erwähnen: Bei den Bienenstöcken, die ein paar Kilometer vom Wohnhaus entfernt stehen, hat Viktor einen wohnlichen Bauwagen. Dort konnte ich die Konstruktion seiner Bauwagen-Zentralheizung bewundern. Im Wohnraum befindet sich ein von Wasser (gemischt mit Frostschutzmittel) durchflossener Heizkörper, wie er aus vielen Wohnungen bekannt ist. Das Wasser wird außerhalb des Lebensraumes erwärmt, und zwar von Turist.

Zentralheizung Turist

Der Gaskocher der Marke Turist erhitzt eine Schachtel, die an den Heizwasserkreislauf angeschlossen ist. Diese Schwerkraftheizung benötigt keine Pumpe, um das Wasser zu bewegen. Laut Viktor funktioniert das alles sehr gut.

Diese günstige energietechnische Anlage erinnert mich an das Schaufelrad, welches wir vor fast einem Jahr (hach, wie die Zeit vergeht) in Kappadokien gesehen haben.

Wasserkraftwerk

Dieses selbst gebastelte Wasserkraftwerk hat, mit Hilfe einer ordinären Auto-Lichtmaschine, die Beleuchtung eines Outdoor-Teehauses (also ein Teehaus ohne Haus) in einer abgelegenen Schlucht mit Leuchtenergie versorgt. Man beachte die massive Erhöhung der Drehzahl durch das Riemengetriebe. Wenn ich mal bei einem Bach wohne, dann möchte ich mir auch so ein Gerät zum Laden von Reisemobil-Bordbatterien bauen.

Nach dieser Mythenmetzschen Abschweifung zurück zum Reisebericht. Nach dem Kurortbesuch überquerten wir den Kaukasus erneut.

Lew betrachtet den Winter; mal wieder in Stepanzminda.
Im Skiort Gudauri bei Nacht.
Skiort bei Nacht.
Foto des Morgenmondes.

Problemlos konnten wir Russland verlassen, auch wenn wir uns bei dieser letzten Russlandfahrt nicht mehr um die eigentlich vorgeschriebene Registrierung unserer Personen gekümmert haben. Die Registrierungsvorschriften sind verworren. In ihnen ist der alte bürokratische Kontrollwahn der Sowjetzeit zu erkennen, aber diesmal als Farce und nicht als Tragödie. Man soll sich manchmal irgendwo und irgendwie registrieren, die offiziellen Regeln dazu sind nicht exakt herauszufinden, es wird aber meistens nicht kontrolliert.

Hier, in der georgischen Hauptstadt Tiflis, stand wohl mal ein Lenin oder Stalin und wurde von einem heiteren Ringelreigen vertrieben.
Die Zeit der sowjetischen Architektur ist in Georgien vorbei. Hier ist ein neu gebauter Uhrenturm zu sehen.
Tiflis ist eine vielbeseilbahnte Stadt.

Bei einem Stopp in Stepanzminda kamen wir mit einem freundlichen Restaurantbesitzer ins Gespräch. Er lobte die Hinwendung Georgiens zur EU und schimpfte auf die Besetzung Abchasiens und Südossetiens durch Russland. Deutschland und Frau Merkel seien Leuchtfeuer der Zivilisation.

Dann kam er zu einem Punkt, der auch schon für andere Bekanntschaften in Russland wichtig war: Er äußerte die Angst, dass die Macht in Deutschland von den einfallenden muslimischen Massen durch demokratische Wahlen übernommen würde. (Muslimische) Flüchtlinge würden doch nur nach guter Arbeit, einer sauberen und friedlichen Wohnumgebung und ruhigen Lebensverhältnissen suchen. Solche gefährlichen Leute dürfe man nicht ins Land lassen, denn bei dieser Liste von immigrantischen Bedürfnissen fehle ja die Aufopferung für das europäische Gemeinwesen, die der einheimischen Bevölkerung zu eigen sei.

Die Angst vor einem „muslimischen Machtwechsel“ in Deutschland durch Wahlen scheint nach meiner persönlichen Statistik weit verbreitet. Alle Leute, mit denen ich in Russland oder Georgien über dieses Thema sprach, waren davon stark bewegt.

Die Skurrilität dieser Angst wird erhöht, wenn man sich – wie wir – vorher die aktive postsowjetische Gedenkkultur zum Sieg im 2. Weltkrieg anschaut. Der Sieg über Deutschland ist immer noch ein wichtiges und identitätsstiftendes Thema in den Ex-Sowjet-Staaten. Und heute fürchten die Leute die Absetzung der Herrschaft des Deutschtums in Deutschland?

Passenderweise wurde heute dazu im deutschen staatstragenden Radio von einer Studie und Prognose des amerikanischen Pew-Institutes berichtet, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Das Pew-Institut versteht sich als politisch und weltanschaulich neutral, obwohl es stark von der christistisch-fundamentalistischen John Templeton Foundation finanziert wird. Es gibt also keine Hinweise darauf, dass die Leute hinter dieser Studie heimliche proislamische Propaganda betreiben würden.

Eine der Pew’schen Hochrechnungen geht davon aus, dass die muslimische Zuwanderung nach Deutschland in den nächsten 23 Jahren genau so hoch bleiben wird, wie sie es in den letzten zwei Jahren war. Das ist natürlich völlig unrealistisch, was auch die Leute von Pew sagen. Diese hohe Zuwanderung würde dann bewirken, dass im Jahr 2050 20% der deutschen Bevölkerung muslimisch wären.

Aber was ist mit der perfide-demokratischen Machtübernahme? Bisherige Umfragen zeigen, dass die muslimischen Deutschen eine Tendenz zur SPD haben. Das ist schon etwas gruselig. Bliebe der muslimische Zuzug bis 2050 gleichbleibend hoch, gäbe es also eine Chance, dass dann Sigmar Gabriel zum Greisenkanzler – oder gar Zombiekanzler – gewählt würde. So etwas sollte vermieden werden.

Zur Vermeidung Zombie-Gabriels muss aber nicht viel getan werden. Das realistischere „medium migration scenario“ geht von einem Anteil von 11% muslimischer Bevölkerung 2050 in Deutschland aus. Damit hat die SPD keine Chance.

Die Wahrnehmung meiner Gesprächspartner ist also von einem geringen Realitätshintergrund geprägt; sie kommen wohl aus einer realitätsfernen Schicht. Aber was ist mit der Einschätzung der Leute in Deutschland zum Anteil der muslimischen Bevölkerung? Ipsos hat 2016 eine Umfrage dazu gemacht. Die Menschen schätzten im Durchschnitt, dass 21% der deutschen Bevölkerung muslimisch sei. Sie hielten also den derzeitigen muslimischen Anteil für höher, als er 2050 wäre, wenn die Zuwanderung bis dahin unverändert auf dem hohen Niveau von 2015 bliebe.

Was bedeutet es für mich, wenn in dem Land, in dem ich lebe, der Anteil der muslimischen, buddhistischen oder katholischen Menschen 5%, 10% oder 30% beträgt? Nichts. Eine solche Statistik hat doch mit dem eigenen Leben wenig zu tun. Ich führe die Zahlen hier dennoch an, um die Absurdität der Machtübernahme-per-Wahl-Ängste zu verdeutlichen.

Diese wirklichkeitsfreien Ängste meiner Gesprächspartner, die damit ihren deutschen geistigen Geschwistern von beispielsweise CSU, AfD oder Pegida gleichen, fand ich erschreckend. Denn diese Islamophobie kann nur in einer bestimmten geistigen Grundlage wachsen. Sie braucht das Konzept eines höherwertigen Wir und eines bedrohlichen Die Anderen, um überhaupt zu funktionieren. Eine solche Unterteilung ist nicht nur unsinnig. Diese Geisteshaltung war die notwendige Voraussetzung der Umsetzung jedes (mir bekannten) Genozids der Menschheitsgeschichte.

Nicht alle Leute, die sich als Mitglieder einer Rassengemeinschaft sehen, die von den Anderen bedroht wird, werden sich an einem Massenmord beteiligen. Aber sie bilden ein gefährliches Fundament. Die hilfreiche Gegenmaßnahme ist eine Weltanschauung des Individualismus, in der Menschen nach ihrer eigenen Persönlichkeit und nicht nach Gruppenzugehörigkeit beurteilt werden.

Mit diesem Schlusswort beende ich den Blogeintrag – bis zum nächsten im nächsten Jahr, aus Aserbaidschan!

Lampenwartung in Tiflis

4 Kommentare

  1. habe gerade versucht, euren politisch-philosophischen Gedanken zu folgen – ja, ich bin auch für individuelle Lebens- und Gedankenwelten. Aber wählen muss man ja trotzdem, oder? Die Winterbilder sind wunderschön. Genießt es, denn solchen Schnee werdet ihr wahrscheinlich nie wieder zu sehen bekommen.
    Ein gutes Neues Jahr und sichere und problemlose Weiterreise wünscht euch Karin

  2. … messerscharfe Analyse …

    … ausserdem, warum sollte jemand, der vor einem religiös bedingten Krieg geflohen ist, ebendiesen in seiner neuen Heimat entfachen wollen …

    … in Russland gibt es moslemische Gebiete … ausser dass die Holzkirchlein als Moscheen verkleidet sind, konnte ich keinen Unterschied feststellen …

    Gruss Ulf

    P.S. : Auspuff wird 80 Grad warm, also ideal als Wärmquelle für schwere Kraftheizung

  3. … die Völker in Russland achten einander und leben friedlich zusammen … wurde mir extra aufgetragen, das in der Heimat zu erzählen …

    Gruss Ulf

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