Nein, das war ein Scherz, es gibt keine Abkürzungen, die durch Kasachstan führen.

Wir haben es geschafft, nach nun sechs Tagen dürfen wir uns legal in Kasachstan bewegen, immerhin für die nächsten fünf Tage. Offiziell ist das Prozedere einfach: man reist in das Land ein, füllt an der Grenze eine Migrationskarte aus, die man ständig mit sich führen muss und hat dann fünf Tage Zeit, um sich bei einer Migrationsstelle registrieren zu lassen, in unserem Fall für 30 Tage, denn so lange dürfen wir uns visafrei in Kasachstan bewegen. Und tatsächlich haben wir für diesen Vorgang ganze fünf Tage gebraucht, obwohl wir bereits einen Tag nach der Einreise vor einer Migrationsstelle in Ganjuschkin standen. Diese hatte jedoch zu jenem Zeitpunkt bereits geschlossen, Polizisten wiesen uns darauf hin, am folgenden Tag erneut zu erscheinen. Den Plan, uns am darauf folgenden Tag registrieren zu lassen, konnten wir nicht weiter verfolgen, da uns ein anderer Polizeibeamter offensichtlich aus Lust und Langeweile aus dem Ort vertreiben wollte. Er erfand eine Geschichte, warum wir uns dort nicht länger aufhalten dürften, erzählte uns etwas von „boarder zone“ und drohte uns mit einer Strafe, wenn wir uns nach seinem Mittagessen noch im Ort aufhalten würden. Dummes Geschwätz, aber in Kasachstan sollte man sich auf die Launenhaftigkei der Polizei einstellen, es lohnt nicht, auf sein Recht zu pochen. So peilten wir das ca. 300 km entfernte Atyrau an. Zwei ganze Tage hat uns die Fahrt dorthin gekostet, die Straße ist in einem Zustand, der es mir unmöglich macht, überhaupt noch von einer Straße zu sprechen. Auf spärlichen Resten von schlechtem Asphalt, der unentwegt von bis zu 30 cm tiefen Löchern unterbrochen wurde, quälte sich der gesamte Personen- und Warenverkehr zeitweise im Schritttempo durch dieses Schotterlabyrinth, das Gebot des Rechtsverkehrs wurde somit aufgehoben, man fuhr, wo man eben konnte. Wenn möglich, mieden wir die Straße und fuhren auf abseits verlaufenden Pisten. Das Ifchen hat all seine Schrauben bei sich behalten, wurde aber dennoch reichlich strapaziert.

Schlaglöcher pflasterten unseren Weg.
Beside the road eben.

In Atyrau endlich angekommen, mussten wir bei der Polizeidienststelle erfahren, dass am 8. und 9. Mai niemand einen Finger rührt, auch nicht bei der Migrationsstelle, wodurch das Einhalten der Fünftagesfrist zu einem Problem werden kann. Lew und ich mussten selbst ein wenig über uns lachen, da stehen zwei Deutsche am 8. Mai in Kasachstan und erhoffen ihre Registrierung… Nach dem die Siegesfeierlichkeiten beendet waren, konnten wir nach einigem Aufwand und ungeplanten Taxifahrten quer durch die Stadt endlich registriert werden – allerdings nur für weitere fünf Tage, aus willkürlichen Gründen. Die Registrierungspflicht scheint ein Relikt aus sowjetischen Zeiten zu sein, als man Personen, die sich im Land aufhalten, einer permanenten Überwachung unterstellen wollte. Das mag zu damaligen Zeiten mit den rigiden Kontrollen funktioniert haben, unter den heutigen Umständen ist es nur noch ein überflüssiges Instrument, um Reisende zu quälen und um die bürokratischen Mühlen am Laufen zu halten. Wo wir uns wann im Land aufhalten, ist hier im Endeffekt allen herzlich egal. All zu ärgerlich ist es für uns nicht, wir wollen uns zum jetzigen Zeitpunkt sowieso nicht länger als einige Tage in Kasachstan aufhalten. Wir haben bei der Einreise die Strecke zwischen Atyrau und Oral als Abkürzung gesehen auf unserem noch langen Weg in die Mongolei. Wie naiv von uns gedacht, wir hätten für diesen Streckenabschnitt wohl besser in Russland bleiben sollen und über Wolgograd nach Sibirien reisen sollen. Wie herzlich man uns in jenen Tagen in Wolgograd empfangen hätte, bleibt dabei eine offene Frage.

9. Mai heißt für uns Meldepause!

Herzlich empfangen hat man uns jedenfalls gestern, als wir ein Steppendorf anfuhren, da unser Wassertank gefüllt werden wollte. Wasserquellen am Wegesrand, wie wir es bislang aus anderen Ländern gewohnt waren, scheint es in Kasachstan nicht zu geben, man muss den Kontakt zu der Dorfbevölkerung suchen, um Wassertankmöglichkeiten zu fragen. Nach kurzer Zeit standen wir auf dem Grundstück einer Familie, deren Kinder im Haribo-Fieber erst einmal den Ifa beklettern mussten. Es lag an uns, uns nach der Tankaktion erkenntlich zu zeigen, zunächst aber wurden wir auf einen Tee eingeladen und fanden uns mit der gesamten 15-köpfigen Familie am Wohnzimmertisch wieder und wurden mit sämtlichen kasachischen Spezialitäten versorgt. Dass man solche Einladungen nicht mit peinlicher Berührung, sondern einfach mit Dankbarkeit annehmen kann, habe ich auf dieser Reise bereits gelernt. Diese uns entgegengebrachte Freundlichkeit war nach den vielen Stunden der Konfrontation mit Behörden und ihren ausführenden Tentakeln zu tiefst angenehm.

Kinder stehen auf das Ifchen – und gerne auch drinnen.

Denn nicht nur, dass das Vorankommen auf der Straße extrem mühsam war, wir wurden alle paar Stunden von der Polizei zum Anhalten aufgefordert. Und dann wurde nach irgendwelchen, manchmal auch erdachten, Vergehen geschnuppert, um die Weiterfahrt zu behindern. Sofortzahlung, Wodka oder deutsches Bier sind beliebte Zahlungsmöglichkeiten, um aus diesen Situationen wieder herauszukommen – bislang kamen wir zahlungsfrei davon! Eines abends kamen uns Polizisten besuchen und fragten ohne Schnörkel nach Schnaps, Bier oder Schokolade. Wir haben uns als anti-alkoholisch und vegan lebend gegeben. Auf dem atyrauischen Polizeiamt hing ein Plakat, dass bildhaft die Zahlung von Bestechungsgeldern verboten hat. Man fragt sich, an wen sich diese Mahnung richten soll.

Aber auch der endlose Himmel über der mittlerweile schon 30°C heißen Steppe, dramatische Sonnenauf- wie untergänge, in denen Herden von Wildpferden galoppierend die Wasserquellen aufsuchen sind ein Schauspiel, das uns nun die letzten 500 km begleitet hat. Außerdem bildet der Westen des Landes das Rückgrat der Wirtschaft: hier gibt es massig Gas und riesige Ölfelder, auf denen die Pumpen nie still zustehen scheinen. Wir wollen erneut nach Kasachstan einreisen, dann aber weiter östlich in die Regionen rund um Astana, wo die Landschaft abwechslungsreicher ist, wofür man uns hoffentlich die uns zustehenden 30 Tage Zeit lässt. Wir verbuchen diesen Kurzbesuch als eine kleine Übung, immerhin wissen wir nun, wie das Kamel hier läuft. Vorausgesetzt man lässt uns erneut einreisen, was wir offiziell dürfen, aber…

Kamele können in Kasachstan in alle Richtungen laufen.

Was haben wir in diesen Tagen noch erlebt? Ach ja, Lew musste einen Brief, der nach Russland gehen soll, zur Post bringen. Es ging lediglich um die Beschaffung der richtigen Briefmarke und um das Einwerfen des Briefes in einen Briefkasten. Dieser Verwaltungsaufwand bei einem Hauptpostamt dauerte 45 Minuten. Zunächst dauert es viele Minuten, bis man sich durch ein System geklickt hat, welches einem dann eine Nummer ausdruckt für die entsprechende Dienstleistung. Schafft man es dann nach vielen Warteminuten an einen Schalter, ist die Nummer sowie das genaue Anliegen irrelevant. Aber von Nummernvergabesystemen und einem Clearingsystem hat man hier schon gehört und befindet es offensichtlich für gut. Die Frau am Schalter hielt es jedenfalls für unmöglich, einen Brief nach Russland zu bearbeiten, da von uns keine Absendeadresse angegeben werden konnte. Mit der Angabe einer deutschen Adresse war sie dann zufrieden. Sollte der Brief in Wladikawkas nicht zugestellt werden kann, frage ich mich, wer die Kosten für die Rücksendung des Briefes an den Absender nach Hoyerhagen übernehmen wird?!

Ich stelle fest, wie ich mehr und mehr die innere Haltung einnehme, dass Vorabinformationen und Recherche sinnvoll sein können, ich dennoch auf alles gefasst sein muss: die Wahrheit zeigt sich in der Realität.

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