Mit unserem nächsten Ziel im Auge – der Wüste Lut (auf Deutsch die Leere) – steuerten wir die alte Schmugglerstadt Kerman an. Dort wurden Nahrungsmittel und Wasser für die Wüstenexpedition aufgenommen. Zufällig trafen wir auf Susi & Malte. Die beiden waren Reisefrischlinge. Gerade einmal zehn Wochen vor unserer Begegnung waren sie mit ihrer jugendlichen Hündin Merle und ihrem völlig geländeuntauglichen Bulli Heinrich aus Deutschland auf große Reise aufgebrochen.

Susi und Malte, ein Woche später, gepackt von Wüstenbegeisterung.

Der Bulli Heinrich strotzt nur so vor mangelnder Eignung zum Befahren von schwierigem Terrain, zum Beispiel einer Wüste. Der Bus hat nicht nur keinen Allradantrieb und keine Differenzialsperren, sondern auch ungeeignete Bereifung. Zur Krönung ist an der Anhängerkupplung eine nach hinten hinaus ragende und tief hängende Wackelkonstruktion angebracht, auf der Reservekanister und Ersatzrad mitgeführt werden. Dieser Heckträger beeinträchtigt den hinteren möglichen Böschungswinkel noch stärker als der fast über dem Boden schleifende Auspuff und die tief liegende Ölwanne des Motors.

Merle dagegen ist eine äußerst geländegängige Hündin.

Der Hauptfahrer und Bordschrauber, Malte, ist aber seit einer Afrikareise begeisterter Geländefahrer und Wüstenerkunder. Schon seit längerem hat er von Zeit zu Zeit Geistesblitze, in denen ihn die vage Ahnung beschleicht, dass der VW-Bus Heinrich nicht für alle Gelegenheiten das perfekte Fahrzeug für ihn ist. Trotz möglicher kleiner fahrtechnischer Schwierigkeiten waren Susi und Malte zu einer Expedition in die Lut fest entschlossen. Das ahnten Swantje und ich, als wir die beiden in Kerman trafen. Um Schlimmeres zu verhinden, haben wir uns als Bulli-Begleitfahrzeug angeboten. So sind wir zu fünft (4 Menschen und eine Hündin) in Richtung Lut aufgebrochen.

Es muss am Rand der Wüste Luft aus den Reifen gelassen werden, damit sich auch Heinrich besser durch den Sand wühlen kann.

Während der Zeit im Konvoi mit der Heinrich-Besatzung holte mich eine verschüttete Erinnerung aus den 80er Jahren ein. In dieser Zeit sah ich mit großem Interesse den Zeichentrickfilm „Susi und Strolch“ – dieser Titel kann mir nun immer in den Kopf, wenn ich an unsere Konvoipartner dachte. Oder mit ihnen redete. Der Name Strolch verdrängte den Namen Malte in meinem Gehirn – was ich mir auf keinen Fall anmerken lassen wollte. Mit Stolz kann ich berichten, dass ich der Gegenwart der Beiden Malte nie laut Strolch genannt habe, auch wenn es mir häufig auf der Zunge lag.

Im Oasendorf vor der Lut.

Um die menschenleere Hauptwüste herum befinden sich einige Oasendörfer. Dort sind auch die Ruinen verschiedener Karawansereien zu finden, die von den Zeiten der Seidenstraße zeugen. Wir erforschten eine davon. Zufällig entdeckte ich am Rand des bebauten Geländes versteckt hinter einem Busch den Zugang zum alten Qanat. Dabei handelt es sich um die tief unterirdisch angelegten Tunnel eines Bewässerungssystems, wie es in allen Wüstenregionen des Irans (und teilweise Arabiens) üblich war. Malte und ich stiegen an einem Seil etwa 10 Meter in den Tunnel hinab, bis wir leider wegen einer Verschüttung nicht weiter konnten. Es war trotzdem aufregend. Dafür hatte ich dann in der folgenden Nacht (und nur in dieser) Asthmaprobleme. Irgendein Staub dort unten hat mir wohl zeitversetzt zugesetzt.

Unterirdischer Wasserspeicher bei einer Karawanserei-Ruine.
Abstieg in den Qanat.

Die Lut ist dreigeteilt: Im Westen besteht sie aus den Kaluten, in der Mitte gibt es eine flache und teilweise sumpfige Ebene und der Osten ist geprägt von hohen Sanddünen. Wir haben nur die westlichen Kaluten befahren. Es handelt sich dabei um felsartige langgestreckte Erhebungen in Nord-Süd-Ausrichtung. Sie bestehen aus gepresstem Meeresboden-Sediment, also so etwas wie stark verdichtetem Sand. Die Kaluten sind meistens zu steil zum Überqueren, so dass ein Reiz einer Lut-Expedition darin lag, dass man sich den Weg von Kalut-Tal zu Kalut-Tal suchen musste.

Abendstimmung in den Kaluten.

Bulli Heinrich musste häufig geborgen und abgeschleppt werden, wenn er wieder im Sand versank. Das machte Spaß. Einfach immer nur IFA fahren ist ja ziemlich anspruchslos, da unser Fahrzeug sich immer ohne besondere Schwierigkeiten voran wühlt. Mit dem Bus im Schlepp kamen wir nicht besonders weit – was aber niemanden störte. Schon nach dem ersten Tag brach eine allgemeine Wüsteneuphorie aus. Susi & Malte wollten sich ursprünglich „mal zwei Tage die Lut anschauen“ – daraus wurden dann trotz ihrer Allradlosigkeit über zwei Wochen.

Merle beschaut die Wagen.

„Warum wollt ihr denn nur immer in die Wüste?“ fragte mich vor einiger Zeit meine von einem gewissen Unverständis geprägte Großmutter am Telefon. Für die Teile der Leserschaft, denen sich nun die gleiche Frage stellt, präsentiere ich hier einen Erklärungsversuch:

Nach der zivilatorischen Enge des dicht besiedelten Irans genossen alle die Wohnmobilfreiheit der Lut. Man kann jederzeit und überall kampieren, ganz nach Laune und gutem Panorama. Jeden Tag gab es bestes Wetter – Wärme, Sonnenschein und Trockenheit – und einen riesigen Privatsandstrand (allerdings ohne Meer). Interessante Farben, Formen und Formationen überall in diesem Geotop. Merle konnte endlich rennen und bellen, ohne dauernd im Bus eingesperrt zu werden (im Iran herrscht eine große Hundeangst und auch Hundefeindlichkeit). Dazu die spannenden Herausforderungen des Geländefahrens und Wegfindens. Und auch das Gefühl in unendlichen Weiten unentdeckte Landschaften zu erforschen. Vielleicht kommt noch der Stolz hinzu, sich völlig autark in seinem selbstgebauten Raumschiff in diesen Weiten erfolgreich zu bewegen und Hindernisse zu überwinden. Die angenehme Gemeinschaft des Konvois auf einer Expedition ist auch ein Aspekt. Und der nächtliche Wüsten-Sternenhimmel.

Nachtlager zwischen Kaluten.

Er war müde. Er setzte sich. Ich setzte mich neben ihn. Und nach einer Weile sagte er:

»Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die wir nicht sehen…«
Ich sagte: »Natürlich«, und betrachtete die Falten des Sandes im Mondlicht.

»Die Wüste ist schön«, fügte er hinzu.
Und das stimmte. Ich habe die Wüste immer geliebt. Man sitzt auf einer Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Doch etwas leuchtet in der Stille…

»Es macht die Wüste schön«, sagte der kleine Prinz, »dass sie irgendwo einen Brunnen verbirgt.«

Wir hatten jedenfalls nächtlichen Besuch von einem Wüstenfuchs, der sich ein wenig zähmen lassen wollte. Das kam so:

Nach acht Tagen Wüstencamping und Kalutenexpeditionen wurde über den Mangel an frischem Gemüse (Swantje) und Fleisch (Susi und Malte) geklagt. Das wäre ja noch kein Grund, um eine Fahrt zum nächsten Oasendorf Schahdad zu planen, aber uns ging auch das Wasser aus. So wurde beschlossen dies alles dort zu besorgen.
Wir wollten nicht den gleichen Weg aus der Kalutenwelt heraus wie hinein nehmen, und so mussten wir uns einen Tag lang durch das Sandgebirge kämpfen, auch wenn von unserem Lager nur 10 Kilometer Luftlinie bis zum Lut-Rand zu überwinden waren. Mit IFA-Unterstützung konnte selbst der Bulli schwierige Hindernisse meistern.

An manchen Stellen musste Heinrich gezogen werden.
Das Ifchen hat eine bewegliche Vorderachse wie eine Ballerina.

Gegen Sonnenuntergang hatten wir diese großen Hindernisse hinter uns gelassen und freuten uns auf den Feierabend. Wir hatten aber nicht mit den Tücken des Salzsees gerechnet. Die Kaluten sind von einem größtenteils trockenen Salzsee umgeben, den man queren muss, bevor man nach Schahdad kommt. Leider führte uns unser neu erkundschafteter Weg zu einer Stelle zum Salzsee, die nicht ganz trocken war. Feuchter Salzschmierschlamm ist ein Untergrund, der selbst die Fähigkeiten von Offroad-Monstern wie IFAs an ihre Grenzen bringen kann. Und ein stecken gebliebener IFA kann auch keinen Bulli mehr herausziehen. Mit etwas Mut und Schwung schafften wir es dann aber doch durch die Ebenen des Salzes.

Der Bulli jagt auf dem Salzsee dem Schaschlik entgegen.

Am nächsten Tag konnten wir einkaufen gehen. Beim Schlachter war wohl gerade eine Ziege verarbeitet worden. Das blutige Fell lag auf dem Boden und der Ziegenkopf auf dem Tisch. Der Kopf wurde uns dann auch gleich von einem anderen Kunden vor der Nase weggekauft. Wir nahmen also bloß Fleisch (für ein Schaschlik) und Innereien (für Merle).

Da uns die Konfusion der Urbanität nicht mehr zusagte, flüchteten wir schnell wieder in die Wüste. Dort wurde ein Lager aufgebaut und der Grill angeworfen. In der Stille der Leere zogen die Sterne auf und der Grill grillte leise vor sich hin. Bis er erschien. Er umrundete uns immer wieder in kleiner werdenden Kreisen, angstlos, bloß etwas skeptisch, als wollte er gerne gezähmt werden. Währenddessen schlief Merle laut schnarchend im Bus und bekam nichts von dem Besucher mit.

Fuchs am Bulli.
Da liegt noch ein Schaschlikteller auf dem Tisch.
Da verstummte der Fuchs und schaute den kleinen Prinzen lange an:
»Bitte … zähme mich!«, sage er.

Etwas später habe ich versucht zu recherchieren, um was für einen Wüstenfuchs es sich handelte. Es scheint kein Fennek zu sein, wie er in Nordafrika wohnt. Mehr bekam ich nicht heraus, stieß aber auf zwei andere Blogeinträge, die sich mit diesem Fuchs beschäftigen. Dieser Overlander-Fuchs besucht Reisende in der Lut schon seit mehreren Jahren. Von der Pistenkuh hat er 2016 immerhin ein Ei bekommen, während 8wheels ihm Anfang 2018 nur fades Gemüse gegeben haben. Da wird er sich über unseren Ziegenspeck aber besonders gefreut haben.

Swantje macht Merle den Platz auf der Rückbank streitig.

Wir wären gerne noch länger in der Lut geblieben!
Allerdings erreichte uns die Nachricht, dass meine Großmutter krank ist und eines dringenden Besuches meinerseits bedarf. So machten wir uns schnell auf in Richtung Georgien, auf dass ich dort ein Flugzeug für einen Kurzbesuch in Deutschland nehme.

Aber dem Wüstenfuchs müssen noch mehr leckere Snacks gebracht werden. Beim nächsten Mal ist die Lut komplett in West-Ost-Richtung zu durchqueren, das steht fest. Vielleicht haben Susi & Strolch dann ja inzwischen auch ein geländegängiges Fahrzeug ohne so starken Zugbedarf.

Fahrzeug-Bodenfreiheit ist beim Dünenfahren nützlich.
Das war mal Meeresboden.
Ein Nahboden-Sandsturm tobt um die Räder.
Der wilde Sandwind bläßt, während der Bus Bergehilfe braucht.
Farben
Die pfadfinderische Herausforderung war einen Weg durch dieses Labyrinth zu finden.
Lästermäuler mögen behaupten, dass dieses Fahrzeug nicht perfekt für das Sandfahren geeignet sei. Heinrich ist aber viel weiter in die Lut vorgedrungen, als so manches Hightech-Allrad-Reisemobil.
Muschelkalk hat sich im Laufe von ein paar Millionen Jahren abgelagert.
Viele Arten von Sand.
Manchmal muss das Ifchen gewartet werden, damit kein Sand in’s Getriebe kommt.
Allabendlich wird ein Lager aufgeschlagen. Manchmal bleibt dieses aber auch für zwei oder drei Tage am Ort bestehen.
Nachmittags haben wir eine Lufttemperatur von 34° gemessen. Zum Glück war tiefer Winter.
12:30 Uhr: eine normale Kaffeepause in der Wüste.
Bis zum nächsten Mal, Lut!

8 Kommentare

  1. Irre! Schließe mich Sarah an und bedanke mich für die Bilder und Berichte. Wie sieht es eigentlich mit Schlangen aus? Auch schon welchen begegnet. Einer der Gründe warum ich wäre niemals in den 10 Meter tiefen Tunnel abgestiegen wäre. Alles Gute Euch!

  2. Ich schließe mich auch an. So eine gute Geschichte mit dem braven Heinrich und Bildern, von denen eines schöner als das andere ist. Ganz besonders hats mir das zur Demonstration der Fahrzeug-Bodenfreiheit angetan. Auch die winterliche Wärme/Hitze kommt rüber und davon kann man bei dem jetzigen Kälteinbruch gut was gebrauchen.

  3. Hallo ihr zwei! Es ist wunderschön, eure Beiträge zu lesen. Das weckt für uns das Fernweh immer mehr. Wir sind die Eltern von Jörg und Ann Katrin und eifern der Jugend nach und sind dabei uns einen W 50 aufzubauen. Da ihr ja schon einige Erfahrungen habt, hätten wir einige Fragen ,insbesondere zur Heizung an euch. Jörg hat uns gesagt, dass ihr eine Truma 3004 habt und ohne Gebläse betreibt. Wenn es so ist,geht die Heizung überhaupt und wie ist das dann mit der Wärmeisolation zu den Möbeln? Es wäre schön, zu wissen,wie eure Heizung funktioniert.
    Ansonsten soļlen wir von Jörg und Ann Katrin lieb grüßen. Sie testen jetzt das Elterndasein.
    Wir wünschen euch für eure Weiterfahrt alles Gute und nur schöne Erlebnisse! Viel Spass
    Es grüßen euch Silke und Frank

  4. Hallo. Ich habe etwa vor 2 Jahren ein Getriebe bei Euch ersteigert und konnte mir den Aufbau des Fahrzeugs vor Ort anschauen. Damals war schon das Fahrziel bekannt und ich dachte was für ein Irrwitz. Respekt für die Durchführung und noch Allzeit gute Fahrt auf und neben der Strasse. Wenn ich mich nicht irre war ja ein Deutz Motor verbaut. Ob es der gute alte 4Zylinder aus Ludwigsfelde bzw. Werdau auch getan hätte? Wer weiss.

  5. Moin ihr zwei-
    Jetzt les ich und seh ich diese Sehnsuchtsbilder…
    Ja, wer könnte besser als der kleine Prinz die Wüste beschreiben. Anrührend- spannend,aufregend.
    Habt’s gut weiterhin!
    Thomas

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