
Unsere Reise führte uns zum Stalintempel in Gori. Erst einmal durch den Stalinpark auf dem Platz vor dem Gebäude:

Im Hintergrund des Bildes sieht man den griechisch anmutenden Säulentempel, der um Stalins ärmliches Geburtshaus herum aufgebaut wurde. Rechts steht ein Boxautomat, den man gegen Geld schlagen darf. Daraufhin berechnet er die eigenen Kräfte im Vergleich zu denen des ehemaligen sowjetischen Führers.

Die Stalinkirche nennt sich offiziell „Stalin-Museum“. Wir bekamen eine Führung durch die Hinterlassenschaften des Ex-Führers. Das Museum steht hier, da Stalin Georgier war – und kein Russe, wie manche schlecht informierten Westler denken. Heute scheint die allgemeine politische Meinung in Georgien eher pro-westlich und russlandfeindlich. Wobei Russland als Nachfolgestaat und irgendwie identisch mit der Sowjetunion betrachtet wird. Stalin ist also Chef der teilweise ungeliebten Ex-Besatzer – und gleichzeitig Georgier. Worauf wiederum viele hier stolz sind: ein gebürtiger Georgier war ein weltweit wichtiger und mächtiger Mann! Die Gefühle zu ihm sind also von einer gewissen Schizophrenie geprägt.


Dazu kommt der russisch-georgische Krieg von 2008. Dabei wurde um die Kontrolle über Südossetien gekämpft (Russland hat gewonnen). Nach dem Krieg sollte das Museum umbenannt werden in „Museum der russischen Aggression“, was aber nicht geschah. Einige Jahre lang hing ein von der georgischen Zentralregierung angeordnetes Transparent an dem Gebäude mit der Aufschrift „This museum is a falsification of history“. Die Lokalregierung hat es wieder abgenommen.

Im „Museum“ wird immer noch reiner Stalinkult betrieben, so als hätte es den 20. Parteitag der KPdSU nie gegeben. Die stalinistischen Säuberungen (die auch meinen Urgroßvater betroffen haben) werden nicht erwähnt.


Nach diesem interessanten Museumsbesuch entstanden bei uns gewisse Fragen über die Objektivität der geschichtlichen Darstellung. Leider konnten diese vor Ort von den Anwesenden nicht beantwortet werden. So fuhren wir weiter, erstmal in Richtung Tiflis. Dabei näherten wir uns Armenien und dessen Hauptstadt Jerewan, die im Folgenden zur einfacheren Aussprache Erewan genannt werden soll. Genau genommen sahen wir dieses Schild am Straßenrand: Link zum Straßenschild nach Erewan

Plötzlich dudelte der Radiosender nicht mehr nur den typischen Kaukasus-Pop, nein, eine Durchsage auf Deutsch ertönte! Was war geschehen? Noch in Sowjetzeiten wurde in Erewan ein besonders starker Radiosender installiert, der weit über die armenischen Landesgrenzen hinaus ein Bildungsprogramm auf verschiedenen Sprachen sendet. Vor allem natürlich auf Russisch, aber auch auf Deutsch. Dieser Sender hat in den unterschiedlichen Sprachen verschiedene Bezeichnungen. Auf Russisch nennt er sich Армянское радио (Armenischer Rundfunk). Durch die erhöhte Sendeleistung konnten wir ihn noch in Georgien empfangen. Wir waren begeistert darüber, dass er auch im Jahr 2017 seine Sendungen zur Volksbildung nicht eingestellt hatte.

In den Live-Sendungen kann man anrufen und Fragen stellen – beispielsweise zu gesundheitlichen oder politischen Themen. Diese werden dann sofort beantwortet; meist besser, als Wikipedia das könnte. Zum unseren erstaunlichen Glück lief gerade eine solche Sendung auf Deutsch. Das konnten wir uns nicht entgehen lassen, haben noch während der Fahrt das Handy zur Hand genommen und dort angerufen. Uns bewegten ja die unbeantworteten Fragen aus dem Museum – vielleicht war beim Radio der armenischen Hauptstadt Erklärung zu erwarten?
Nach einer kurzen Warteschleife kam Swantje durch und wurde mit dem Moderator verbunden. Hier die wörtliche Transkription des Dialogs:
Swantjes Frage an Radio Erewan:
Stimmt es, dass in heutigen georgischen Museen sich kritisch und möglichst objektiv mit dem Stalinismus auseinandergesetzt wird?
Radio Erewan antwortet:
Im Prinzip ja.
Insofern man unter Stalinismus die glorreiche Erhabenheit der guten Taten des großen georgischen Führers versteht.
Und „kritisch“ bedeutet in diesem Zusammenhang „in religiöser Verehrung“.
Und unter „objektiv“ ist zu verstehen, dass seine großartigen Leistungen für die Menschheit niemals angezweifelt werden dürfen.
Alles andere stimmt.
Beruhigt konnten wir weiterfahren – über den Kaukasus nach Russland. Dazu mehr im nächsten Beitrag!
Witzig!